Zum Leben und Werk von
Heinrich Everz
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Spruch,
Natz Thier |
Am 9. Juni 1882, wurde Johann Heinrich Everz
in Lippstadt geboren. Im Jahre 1919, mit 37 Jahren, vertauschte
er den Büroschemel mit der Staffelei.
Der bis dahin dilettantierende Zeichner wurde Künstler und
widmete sich fortan fast ausschließlich der Holzschnittkunst.
Er erhielt bereits zu Anfang der 20er Jahre glänzende Ausstellungskritiken,
in denen er rasch zu dem Heimatkünstler des Münsterlandes
avancierte. Seine Kunst des Holzschnitts und seine Bilder der
westfälischen Heimat nahm man überall mit Wohlwollen,
ja mit Begeisterung auf.
Für wenig Geld zu erstehen, hingen in fast allen Häusern
und Wohnungen seiner Heimatstadt Coesfeld und ihrer Umgebung-
und weit darüber hinaus- die Holzschnitte von Heinrich Everz:
Bilder der Heimat! Er war und blieb bis zu seinem Tode 1967
ein Heimatkünstler, ein Künstler aus dem Volke: ein
Volkskünstler!
Heimatkünstler? - Volkskünstler ! - Ein künstlerisches
Werk ohne Widerspruch?
Wo doch die Hauptschaffenszeit von Heinrich Everz und die große
Sympathie für seine Kunst in den Jahren zwischen 1920 und
1940 lag, muss sich heute Widerspruch regen.
Eine der Fragen, die sich beim Betrachter einstellen könnten,
wäre, ob nicht die nationalsozialistische Kunstideologe sich
des Werkes von Heinrich Everz allzu gern bemächtigt und seine
Kunst in ihrem Sinne ausgelegt hat. Natürlich zählte Everz
nicht zu den unbequemen Künstlern für die Machthaber nach
1933.
Seine Bilder und seine Bildmotive entsprachen in der Tat weitgehend
den Vorstellungen eines "das Völkische fördernden"
Realismus. Doch scheiterte eine Interpretation im Sinne des nationalsozial-
istischen Ideengutes an der Allgemeingültigkeit seiner Kunst.
Franz Olernens Gieseking schrieb 1936 in "Heimat
und Reich - Monatshefte für westfälisches Volkstum":
"Liebe zur Heimat", zur Natur und
zum Volkstum ist der entscheidende Antrieb im Schaffen von Heinrich
Everz. Er hängt an jedem Stück seiner Heimat wie an
etwas ihm zugehörigen. Er fühlt bei jeder künstlerischen
Arbeit den Auftrag in sich, nicht nur etwas künstlerisch
Gültiges, sondern auch gegenständlich Wertvolles aus
der Heimatlandschaft darzustellen.
Bei ihm ist diese Verbindung zwischen Kunst und Heimatpflege
so ausgeprägt wie nur bei wenigen seiner Weggenossen. Everz
schaffte aus dem halb unbewussten Trieb heraus, mit seinen Holzschnitten
etwas unveräußerlich Wertvolles, aber leider doch Vergängliches
festhalten zu müssen.
Die Aufrichtigkeit und Zähigkeit des Westfalen hat ihm
dazu den Weg gebahnt und ihn seiner Art, seinem ehrlichen, Streben
nach Natur- und Heimatnähe unverändert treu bleiben
lassen."
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Baumberge
Winter |
Das künstlerische Anliegen von Heinrich
Everz, wie es in den Worten Giesekins sehr deutlich getroffen
wurde, war in seiner Geradlinigkeit so eindeutig und entsprang
einer so allgemein gültigen Geisteshaltung, schöpfte
außerdem aus so alten Tugenden und Traditionen, dass eine
ideologische und kulturpolitische Vereinnahmung schlecht möglich
war. Und so lesen sich denn die zahlreich erhaltenen Ausstellungsrezensionen
von 1933-1944 eigentlich genauso wie die aus den Jahren vor oder
nach dem "Dritten Reich", in Zeitungsartikeln an vielen Orten,
wie auch in Rundfunkreportagen und
Interviews manifestierte sich immer wieder die Integrität des
Menschen Heinrich Everz, der wider Willen zu einem auch bei den
Parteigenossen hochgeschätzten Künstler geworden war.
Das bedeutete allerdings nicht, dass man dem Privatmann und Katholiken
Heinrich Everz nach 1938 keine Schwierigkeiten gemacht hätte,
vielmehr
glaubte man, seine Zurückhaltung und Kritik gegenüber
der NSDAP aufdecken zu
können. Die Zugehörigkeit der Tochter zum "Katholischen
Deutschen Frauenbund"
und die Nichtmitgliedschaft des Sohnes in der HJ sowie Heinrich
Everz persönliches Engagement für den Deutschen Caritas-Verband
und andere kirchlich orientierte Hilfsorganisationen brachten
ihn vorübergehend in Bedrängnis. Seine deutlichen Erklärungen
für sein christliches und soziales Eintreten gegenüber
Bedürftigen und sein Hinweis, dass solches Tun nicht Gegenstand
einer Rüge durch die Partei sein könne, haben sich im
brieflichen Nachlass von Everz erhalten.
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Novembertag
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Die enge Fixierung von Heinrich Everz auf seine westfälische
Heimat, auf die Sehenswürdigkeiten und kulturgeschichtlichen
Denkmäler des Münsterlandes und des Emslands, der Landschaften
am Niederrhein und im Sauerland, entsprang der verstärkten
Hinwendung zu Werten, die sich unter dem weiten Begriff der Heimatliebe
und Heimatpflege sammelten, wie sie kennzeichnend waren für
die ersten drei Jahrzehnte nach 1900 in Deutschland.
Heinrich Everz, dessen künstlerische Anfänge um 1910,
mit Sicherheit vor dem Ersten Weltkrieg zu datieren sind, hat
also eine Jugend erlebt, die angefüllt und erfüllt war
von der Pflege des Heimatgedankens, der dann zehn Jahre später,
nach dem Erleben grausamster Landes- und Kulturzerstörungen
durch den Menschen, in so deutschen Sondererscheinungen wie dem
"Wandervogel" und der Jugendbewegung gipfelten. Dieser
Teil Zeitgeist, der wilhelminische Ära und Weimarer Republik
verband, hat Heinrich Everz und seine Kunst geformt.
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg begann
sich Heinrich Everz als Dilettant in seiner Freizeit mit Zeichnen
und Malen und mit dem Holzschnitt zu beschäftigen. In den
Kriegsjahren nur kurze Zeit zum Dienst an der Waffe verpflichtet,
lernte er den aus Köln stammenden Zeichenlehrer, Holzschneider
und Maler Philipp Reisdorf kennen, der ab 1916 am Gymnasium in
Coesfeld tätig war. Ihm verdankte Everz wertvolle künstlerische
Unterweisungen und auch den Rat, sein zeichnerisches Talent ganz
für den Holzschnitt einzusetzen. Aus dem Jahre 1917 stammt
einer der ersten erhaltenen
Holzschnitte, ein sehr vom Expressionismus beeinflusster "Christuskopf",
mit gratigen Messerschnitten in die Holzplatte gekerbt und mit
großen schwarzen Flächen gedruckt. Doch dann kam der
Wandel.
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Jesus
Christus |
"Durch und durch Landschafter - das ist Heinrich Everz",
so schrieben bald die ersten Kritiker. 1919 gab der inzwischen vom
Handlungsgehilfen zum leitenden Angestellten mit Prokura aufgestiegene
Heinrich Everz seine Stellung bei der Firma Crone auf, - nicht ganz
ohne die erstaunliche Erfahrung für ihn, dass er sein Leben
als Künstler und Holzschneider meistern könnte. Denn dem
überaus fleißigen, dabei nebenberuflich tätigen
Holzschneider und Graphiker waren die frisch gedruckten Blätter
nur so aus den Händen gerissen worden.
Als Zeichner zog er fortan durch Städte und Dörfer
durch die Landschaft des Münsterlandes. Die Motive seiner
Holzschnitte waren die Kirchen und Wasserburgen, die stillen Gassen
und Winkel, Sehenswürdigkeiten und Sagenumwobenes. Das waren
die Dinge, die auch der einfache Betrachter verstand, Motive aus
seiner Umgebung, mit denen er sich identifizierte - eine Kunst,
die schlicht und ehrlich und gutes Handwerk war, still und ohne
Aggressionen, ganz anders als die Kunst in den großen Kunstzentren
Deutschlands, in denen der Expressionismus, der Futurismus und
die vielen anderen internationalen Ismen wie ein "Sturm" durch
Galerien und Salons
tobten.
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Torhaus
Holtwick |
Heinrich Everz pries man wegen seiner Nähe zu dem deutschen
Romantiker Ludwig Richter! Die Betrachter seiner Bilder suchten
die Ruhe, auch die heile Welt, die in den 20er Jahren alles andere
als heil war.
So schrieb Franz Willi Vernekohl im Münsterschen Anzeiger
vom 22.06.1921: "Everz ist ein verträumter Romantiker, ganz
am Alten hängend - seinem Wesen als echter Westfale entsprechend
nicht angekränkelt von hochmodernen Kunstrichtungen mit gesuchten
Zielen!" - Nicht von ungefähr hat man in Heinrich Everz
den Romantiker gesehen. Auch wenn die Kritiker mit dieser Klassifizierung
stets nur seine Geisteshaltung zu charakterisieren versuchten,
so ist das 19. Jahrhundert ohne Zweifel die künstlerische
Heimat von Heinrich Everz gewesen.
In seiner Kunst des Holzschnitts folgte Everz mehr als andere
seiner Zeit Künstlern wie Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-
1872), Alfred Rethel (1816- 1859) oder Adolf Menzel (1816 - 1905),
um nur die großen Holzschnitt-Graphiker des 19. Jahrhunderts
zu nennen.
Von der bedeutenden Entwicklung des expressionistischen
Holzschnitts- von Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner über
Karl Schrnitt-Rottluff bis zu Georg Tappert und Käthe Kollwitz
- blieb er unbeeinflusst. Mit Augustinus Heumann, der 1885 in
Münster geboren, bereits 1919 in Köln starb, vertrat
Everz die neue westfälische Holzschnittkunst, wenngleich
Heumann mit seinen religiösen und sozialen Bildinhalten stets
den "Gegenpol zu Everz" in den münsterländischen
Kunstausstellungen dieser Jahre vertrat.
Seine Holzschnitte sind keine blutleeren Photographien, sondern
jede Darstellung - darin liegt gerade die Stärke des Künstlers
- lebt. Seele liegt in ihrer Stimmung. Fast jedes Bild ist die
Komposition eines tiefen, inneren Erlebnisses.
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Borken,
unter der Tremse |
Nach 1921 erschienen unter Federführung von
Fritz Budde die "Bücher der roten Erde", ein mehrbändiges
Sammelwerk von Erzählungen und Gedichten von kultur- und geistesgeschichtlichen
Essays über Wesen und Art Westfalens und seiner Menschen. Heinrich
Everz war einer der ersten münsterländischen Künstler,
die als lllustratoren dabei mitwirkten. Was Wunder, wenn fortan
Landkreise, weitreichende Publikationsebenen erschlossen: die Buchillustration
Heimatverbände und Vereine bei ihm um Illustrationen für
ihre Publikationen nachsuchten.
Everz hat diese Auftragsarbeiten
mit großer Freude übernommen, weil sich ihm damit neue
Eindrücke und Kenntnisse von bemerkenswerten Landschaften,
Orten und Denkmälern erschlossen. 1923 erschien der Ahauser
Kreiskalender mit seinen Holzschnitten, 1924 der Heimatkalender
für den Kreis Rees, neben dem des Kreises Meppen 1925 sind
der "Kevelaerer Wallfahrts- und Marienkalender
für das Jahr 1926" und wiederum der des
Kreises Ahaus aus demselben Jahr zu erwähnen.
Auftragsarbeiten für Buchillustrationen bestimmten auch
weiterhin sein Schaffen: 1935 war es die Knappschafts-Berufsgenossenschaft
in Bochum, die Holzschnitte von ihm erbat.
Im selben Jahr 1935 stellte sich Heinrich Everz erstmals
als Maler in einer Ausstellung im Saal des "Westfälischen
Hofes" in Coesfeld vor. Der Reichssender Köln
berichtete ausführlich über diese Ausstellung. Heinrich
Everz war auf dem Höhepunkt seines Künstlertums, er
war ein gesuchter Gesprächspartner. Dichter, Schriftsteller
und Literaten, wie der Münsteraner Karl Wagenfeld (1359 -
1939), der bei Kleve lebende Augustin Wibbelt (1862 - 1947) oder
die Coesfelder Mundartdichter Bernhard Happe und Natz Thier gehörten
fortan zu seinen Freunden. Für Augustin Wibbelt illustrierte
Everz zwei Erzählbände: 1940 den Industrie-Verlag Essen
erschienenen Band "Die Erbschaft" und 1941 das im Fels Verlag
Wilhelm Spael in Essen verlegte Buch "Das vierte Gebot".
Auf seine von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verfeinerte Kunst des Holzschnitts
machten die beiden vom Umfang der gezeigten Arbeiten bedeutenden
Einzelausstellungen im Falkenhof-Museum in Rheine und im Kunsthaus
der Stadt Bocholt 1963 und 1965 ein weiteres Mal aufmerksam.
Der Ruhm der Holzschnitte von Heinrich Everz erwies sich nach
Jahren der Zurückhaltung im Ausstellungswesen als ungebrochen.
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